Marxismus-Leninismus

Marxismus-Leninismus

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Mar|xịs|mus-Le|ni|nịs|mus 〈m.; -; unz.〉 der von Lenin ausgelegte u. weiterentwickelte Marxismus

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Mar|xịs|mus-Le|ni|nịs|mus, der; -:
von Lenin weiterentwickelter Marxismus mit der Interpretation des zeitgenössischen Kapitalismus als Imperialismus.

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Marxịsmus-Leninịsmus,
 
inoffizielle Abkürzung ML, seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine der Hauptströmungen des Marxismus; im Gegensatz zum so genannten »westlichen Marxismus«, der von Intellektuellen ohne politische Macht getragen und entwickelt wird, ist der Marxismus-Leninismus von seinen Anfängen an mit den Deutungs- und Orientierungsfragen der praktischen Politik verbunden. So gründet sich der Marxismus-Leninismus auf die von W. I. Lenin vorgenommene Anpassung der Lehren von K. Marx und F. Engels an die sozialen und politischen Verhältnisse Russlands im frühen 20. Jahrhundert, die er mit einer Erklärung für das Ausbleiben der Revolution in den fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften und einer Kritik an der Politik der dort agierenden sozialistischen Parteien verknüpft. Der Leninismus begründet die Weiterentwicklung und teilweise Revision der marxschen Theorie mit dem Eintritt des Kapitalismus in das Stadium des Imperialismus, durch den eine tief greifende Veränderung der politisch-strategischen Konstellationen erfolgt sei. Der Marxismus-Leninismus vertritt die Auffassung von einer »ungleichmäßigen Entwicklung« der verschiedenen Gesellschaften, worauf die Vorstellung fußt, die revolutionäre Veränderung müsse nicht in den sozioökonomisch fortgeschrittensten, sondern könne auch in zurückgebliebenen Gesellschaften der kapitalistischen Entwicklung (»schwächstes Glied«, Lenin) beginnen. Die Nachfolger Lenins, v. a. Stalin, bauten den Marxismus-Leninismus zu einer Weltanschauungslehre mit dogmatischen Zügen und dem Anspruch auf Universalität und Wissenschaftlichkeit aus.
 
 
Der Sowjetmarxismus geht auf Lenins Interpretation und Weiterentwicklung des Marxismus der 1890er-Jahre zurück. In seiner Schrift »Materialismus und Empiriokritizismus« (1908) vertritt er einen erkenntnistheoretischen Realismus; er nimmt in partiellem Anschluss an die französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts (C. A. Helvétius, P. H. T. d'Holbach, J. O. de La Mettrie) an, dass die Außenwelt unabhängig von menschlichem Bewusstsein und Empfindung bestehe, sich jedoch darin »widerspiegele« (Widerspiegelungstheorie). Das menschliche Denken könne sich der absoluten Wahrheit nähern, weshalb die kantsche Annahme eines »Dings an sich« sinnlos sei. Lenins Parteitheorie trug den zurückgebliebenen Verhältnissen in Russland wie der ausbleibenden Revolution in Westeuropa Rechnung. Die Arbeiterklasse kann - nach Lenin - aus eigenen Kräften nur ein »gewerkschaftliches« Bewusstsein entwickeln. Infolge des verschiedenen Entwicklungsgrades unterschiedlicher Gesellschaften können in fortgeschrittenen Gesellschaften Extraprofite entstehen, die unter dem Druck gewerkschaftlicher Organisation teilweise an das Proletariat weitergegeben werden, wodurch dieses an die kapitalistische Gesellschaftsordnung gebunden wird (»Arbeiteraristokratie«) und sein Interesse an deren revolutionärer Überwindung verliert. Wissenschaftlich begründetes Klassenbewusstsein vermögen danach allein die Intellektuellen ins Proletariat hineinzutragen. Die Partei soll eine von Berufsrevolutionären geführte straffe, zum Teil konspirativ arbeitende Organisation, eine revolutionäre »Avantgarde« des Proletariats sein. Nach Lenins Imperialismustheorie ist der moderne Kapitalismus durch die Entstehung von Monopolen, durch die in Politik und Wirtschaft führende Rolle von Großbanken sowie durch internationale Kartelle und koloniale Ausbeutung (Imperialismus) gekennzeichnet. Der Kampf der Großmächte um Anlagemöglichkeiten für Kapital und um Rohstoffquellen führt zu einer verschärften Konkurrenz und schließlich zu Kriegen; dies und die für den modernen Kapitalismus typische Ungleichmäßigkeit der weltwirtschaftlichen Entwicklung ermöglicht es, dass auch in rückständigen Ländern wie in Russland Revolutionen ausbrechen können. Bis Anfang der 20er-Jahre war Lenin jedoch davon überzeugt, dass die Revolution in rückständigen Ländern nur erfolgreich sein könne, wenn sie zur Initialzündung der Weltrevolution werde, d. h. die Revolution in die kapitalistischen Zentren überspringe. - Der Sowjetmarxismus hat diese teilweise taktischen Überlegungen Lenins zur Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) weiterentwickelt.
 
Lenin verabsolutierte die bei Marx verschiedentlich anzutreffende Aussage, dass der bürgerliche Staatsapparat zerschlagen und eine revolutionäre Diktatur des Proletariats (unter der Führung der Partei) errichtet werden müsse. In seiner polemisch geführten Auseinandersetzung mit K. Kautsky betonte er die Gewaltsamkeit dieses Vorgangs und wies den bereits von Engels vertretenen Gedanken zurück, der Sozialismus könne auch mit parlamentarischen Methoden errichtet werden. Lenin unterschied eine niedere und eine höhere Phase des Kommunismus. In der Letzteren würden alle Menschen in der Lage sein, selbstständig die gesellschaftliche Produktion zu leiten, sodass es staatliche Lenkung und Kontrolle nicht mehr bedürfe.
 
In seiner Analyse der sozialrevolutionären Entwicklung in Russland seit 1905 entwickelte L. D. Trotzkij eigene Vorstellungen besonders über den Fortgang der proletarischen Revolution (Trotzkismus), die jedoch infolge Trotzkijs Niederlage im Machtkampf mit Stalin - der auch ein Kampf um die richtige Weiterführung des Marxismus-Leninismus war - für die Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus ohne Folgen blieben.
 
In der Schrift »Über dialektischen und historischen Materialismus« (1938) vollendete Stalin die Dogmatisierung der Lehren von Marx und Engels zur »Weltanschauung der marxistisch-leninistischen Partei«. Stalin stellte die Lehre von der Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem Land auf, weil die von Marx, Engels und Lenin erwartete Weltrevolution ausgeblieben war. Voraussetzung des Absterbens des Staates sei die höchste Steigerung der staatlichen Macht (Stalinismus). Unter N. S. Chruschtschow und L. I. Breschnew setzten neue Versuche ein, den Sowjetmarxismus verbindlich zu fassen. Er umfasse 1) dialektischer und historischer Materialismus als Philosophie und theoretische Grundlage des Marxismus-Leninismus; 2) die politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus, die die Entwicklung der Produktionsverhältnisse erforsche; 3) den wissenschaftlichen Sozialismus und Kommunismus, d. h. Theorie und Taktik der kommunistischen Bewegung und die Lehre vom Aufbau des Sozialismus und Kommunismus.
 
 Ideologische Kontroversen im Marxismus-Leninismus
 
Mit der Entstalinisierung (1956) traten in der kommunistischen Staatenwelt zunehmend Systemkritiker hervor, die eine Liberalisierung des Sowjetsystems forderten.
 
Tito und seine Kampfgefährten E. Kardelj und M. Djilas versuchten, unter Berufung auf die ursprüngliche marxsche Lehre einen Kommunismus aufzubauen, in dem die gesellschaftliche Produktion von den Produzenten selbst (d. h. von Arbeiterräten) und nicht von staatlichen Bürokratien geleitet wird (Titoismus).
 
In der Auseinandersetzung mit dem Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung entwickelte Mao Zedong eine neue Perspektive der proletarischen Revolution, wobei er entsprechend den sozioökonomischen Verhältnissen der Dritten Welt und den chinesischen Erfahrungen v. a. die bäuerliche Bevölkerung als Träger der Revolution ansieht (Maoismus).
 
Der polnische Philosoph L. Kołakowski kritisierte den doktrinären Marxismus-Leninismus als »institutionellen Marxismus«. Er wies auf Strukturbeziehungen zwischen Marxismus und protestantischem Christentum hin und lehnte Gedanken einer »Erlösung durch die Negation« ab. - Der tschechoslowakische Ökonom und Wirtschaftsreformer O. Šik stellte der überkommenen zentralistischen Planwirtschaft eine Theorie der sozialistischen Marktverhältnisse entgegen. In Ungarn kritisierte die »Budapester Schule« (Agnes Heller, András Hegedüs, * 1922) im Anschluss an G. Lukács, dass es den Gesellschaften sowjetischen Typs nicht gelungen sei, zu einer wirklichen Humanisierung der gesellschaftlichen Strukturen zu gelangen. In der DDR kritisierte besonders R. Havemann die bürokratischen Strukturen des »realen Sozialismus« als einen Verstoß gegen das marxistische Prinzip einer »sozialistischen Demokratie«.
 
In seiner dogmatischen Erstarrung war der offizielle Marxismus-Leninismus nicht in der Lage, sich mit diesen Kritiken auseinander zu setzen, sondern reagierte darauf mit administrativer Unterdrückung oder Ausgrenzung. Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten verschwand auch der Marxismus-Leninismus.
 
 
F. Marek: Philosophie der Weltrevolution (1966);
 
Der Marxismus, hg. v. I. Fetscher, 3 Bde. (31976-77);
 I. Fetscher,: Von Marx zur Sowjetideologie (221987);
 L. Kołakowski: Die Hauptströmungen des Marxismus, 3 Bde. (a. d. Poln., 1977-79);
 K. Lenk: Theorien der Revolution (21981);
 P. Koslowski: Nachruf auf den M.-L. (1991);
 L. D. Trotzkij: Die permanente Revolution (a. d. Russ., Neuausg. 1993);
 
Lenin. Theorie u. Praxis in histor. Perspektive, hg. v. T. Bergmann u. a. (1994).

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Mar|xịs|mus-Le|ni|nịs|mus, der; -: von Lenin weiterentwickelter Marxismus mit der Interpretation des zeitgenössischen Kapitalismus als Imperialismus.

Universal-Lexikon. 2012.

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